Helene Kilb (Textkonfekt)
Urban Gardening in Hannover: von der Idee zum grünen Gemeinschaftsprojekt
Ein Grundstück mit unbekanntem Besitzer, eine sechsköpfige Wohngemeinschaft und eine Menge guter Einfälle – die Hannoveranerin Louisa erzählt, wie sie zusammen mit ihren Mitbewohner:innen zu einem eigenen kleinen Garten direkt in der Nachbarschaft kam, den sie gemeinsam mit gebrauchten Dingen ausgestattet und dann bepflanzt haben.
Mit offenen Augen unterwegs
Im Frühjahr 2020, kurz vor dem ersten Lockdown, schlenderte Louisa zusammen mit einer WG-Mitbewohnerin an einem Grundstück in der direkten Nachbarschaft vorbei, das ihr so noch nie aufgefallen war: eine etwa 15 Quadratmeter große dreieckige Fläche, begrenzt durch die schmutzige. ockerfarbene Fassade eines Wohnhauses, die Mauer zum Nachbargarten und eine kleine Seitenstraße im Zentrum Hannovers. Hinter dem heruntergekommenen, dunkelgrünen Drahtzaun wucherte das Unkraut.
„Wir fanden es schade, das Grundstück so ungenutzt zu sehen, direkt bei uns um die Ecke“, erzählt Louisa.
Wie schön es doch wäre, es in ein grünes Fleckchen mitten in Hannover zu verwandeln, zumal in der garten- und balkonlosen WG-Wohnung genau so etwas noch fehlte! Aus der spontanen Idee wurde ein Plan, der von den anderen Mitgliedern der WG unterstützt wurde.
„Um herauszufinden, wem das Grundstück gehört, haben wir Plakate in den Fluren der umliegenden Häuser aufgehängt“, erzählt Louisa.
Tatsächlich meldete sich bald ein Nachbar und verriet ihnen den Namen des Eigentümers. Zusammen mit einer Mitbewohnerin stand die junge Frau schließlich vor dessen Tür – ein merkwürdiges Gefühl: „Es war ein bisschen wie früher in Kindheitstagen, wo man bei den Nachbarn klingelte und fragte, ob man mit dem dort wohnenden Kind spielen darf“, sagt Louisa, „nur dass wir überhaupt nicht wussten, was uns dort erwartet.“
Ungewohnt war für sie auch die Direktheit der Aktion: „Man macht ja heutzutage viel übers Internet, fragt an, schreibt, irgendwann trifft man sich vielleicht“ – doch ein direkter persönlicher Kontakt ergibt sich selten, nicht einmal mit den Menschen, an deren Haustüren man Tag für Tag vorbeigeht und deren Schatten man manchmal hinter den Fenstern erahnt.
Wie in einer anderen Welt
„Ich habe gar nicht mit Besuch gerechnet“, sagte der Eigentümer, als er die Tür öffnete, und wirkte etwas überrumpelt.
Dennoch bat er die beiden herein. Sie folgten ihm durch den Flur seiner geräumigen Stadtwohnung voller Reiseandenken, wo hölzerne Modellboote und Figuren auf den Kommoden standen und bemalte Steine und Schnitzereien auf den Fensterbänken lagen. In der Küche setzten sie sich an den Esstisch, ihr Blick fiel auf eine große Weltkarte, in die mit Stecknadeln bereits bereiste Ziele markiert waren. Der Mann kochte schwarzen Tee für alle und nahm dann an der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz. Mit ihren Tassen in der Hand saßen Louisa und ihre Mitbewohnerin nun also zuhause bei einem völlig Fremden, drucksten anfangs etwas herum und sagten dann, dass sie gerne das Grundstück bewirtschaften wollten. Fast rechneten sie schon damit, dass er sagen würde: „Was nehmt ihr euch heraus zu glauben, dass ich euch das Grundstück einfach gebe?“ Doch das Gegenteil war der Fall.
„Als er fragte ‚Wollt ihr denn etwas dafür, dass ihr das bewirtschaftet?‘, da haben wir erst mal kurz überrascht innegehalten“, erzählt Louisa.
Es stellte sich heraus, dass der Mann das Fleckchen Grün nie wirklich gebraucht hatte, denn er selbst hatte eine Dachterrasse. Entsprechend freute er sich sehr über das Vorhaben der WG, die Fläche in eine kleine grüne Oase mitten in der Stadt zu verwandeln. Die drei einigten sich zunächst mündlich, später hielten sie Eckdaten rund um das Projekt auch schriftlich in einem kurzen Vertrag fest.
Die Nachbarschaft neu kennenlernen
„Dann haben wir uns in der WG erst einmal zusammengesetzt“, erzählt Louisa, „und uns überlegt, welche Erwartungen an den Garten jeder einzelne von uns hat. Wir überlegten, ob der Garten privat sein sollte oder öffentlich zugänglich, ob wir Rasen wollen oder keinen Rasen, eher Nutzpflanzen oder Blumen.“
Sie erstellten einen Plan, erst dann ging es richtig los. Zusammen gruben sie die Erde auf dem Areal um, transportierten einen kleinen Teil davon ab und ersetzten ihn durch nährstoffreichere Erde, legten einen riesigen Baumstumpf frei und fragten sich anschließend, wohin mit dem unhandlichen Überbleibsel.
„Da dachten wir schon, was machen wir denn jetzt, der ist so schwer, den kriegen wir gar nicht mit dem Auto weg“, erzählt Louisa. „Aber dann kam auf einmal ein Nachbar vorbei und fragte, ob er den Holzstumpf haben könne, für seine Kinder im Hinterhof zum Spielen.“
Einige Tage später, als der Baumstumpf dann im Hinterhof lag, kam noch eine Anwohnerin aus dem gleichen Haus und freute sich: „Das ist so schön, die Kinder klopfen da jetzt den ganzen Tag darauf herum und machen damit irgendwas!“ Diese positive Stimmung, die die Veränderungen auf dem Grundstück hervorriefen, begleitete die Neu-Gärtner:innen von Anfang an.
„Als wir da losgelegt haben, hat man richtig gemerkt, die ganze Nachbarschaft ist total interessiert, ganz oft sind Leute stehengeblieben und haben gefragt, was wir da machen“, erzählt Louisa. „Ui, da habt ihr euch ja ganz schön was vorgenommen“, bekamen sie manchmal zu hören, ansonsten sei nur positives Feedback gekommen. „Seit ich hier wohne, das sind jetzt 40 Jahre, wird dieses Grundstück nicht genutzt“, sagte zum Beispiel eine Nachbarin, „ich finde es so toll, dass ihr euch darum kümmert!“
Ein Garten, viele Upcycling-Ideen
„Wir haben viele Leute kennengelernt, wurden in Schrebergärten eingeladen und mit unglaublich vielen Sachen beschenkt“, sagt Louisa. „Manche Menschen sind auch mit Pflanzen vorbeigekommen und haben gefragt, ob wir noch etwas brauchen.“
Neben Pflanzen kamen auch eine Gartenbank, Stühle und mehrere Paletten, aus denen die WG ihr erstes Bauprojekt für den neuen Garten anging: einen Kompost. Sie schauten sich Video-Tutorials an und suchten im Internet nach passenden Anleitungen, einer der WG-Mitbewohner:innen hatte zudem praktischerweise eine eigene Werkstatt, in der er das angesammelte Material in Bauteile verwandelte. Es folgten eine große Terrasse, ein neuer Zaun und selbstgebaute Hochbeete – alles aus gebrauchtem Holz, der Umwelt zuliebe und um das begrenzte Budget für das Urban-Gardening-Projekt nicht zu sprengen.
„Wir haben oft bei eBay-Kleinanzeigen geschaut“, schildert Louisa, „zum Beispiel haben wir jemanden gefunden, der sein Haus neu baute und altes Holz mit vielen Nägeln darin loswerden wollte – wenn man das gesehen hat, dachte man zuerst, das ist Schrott.“ Dennoch nahm die WG einige Balken mit, zog die Nägel heraus, hobelte das Holz ab, sägte es zurecht – und stellte fest, dass es sich dabei um echtes Mahagoniholz handelte, das nun in Form von mehreren Hochbeeten den Garten ziert.
Im August letzten Jahres war das Gröbste erst einmal geschafft, zusammen saßen die WG-Mitglieder auf der selbstgebauten Terrasse in ihrem neu geschaffenen Reich, frühstückten morgens dort oder grillten, aßen ihre selbstangebauten Himbeeren und den frisch geernteten Rucola. Durch das gemeinsame Projekt haben sie sich noch besser kennengelernt und verstanden, wie jeder und jede Einzelne in der Wohngemeinschaft so tickt. In diesem Frühjahr geht es dann weiter. Ihr Plan: den Garten weiterhin grün zu halten, fehlende Pflanzen aufzustocken und dann den Sommer im Freien zu genießen. Denn auch wenn der Garten kleiner ausfällt als andere: Der Erholungsfaktor ist groß genug, um bei Bedarf abzuschalten und die Seele baumeln zu lassen.