Helene Kilb (Textkonfekt)
Im Gespräch mit Wiebke und Johannes Thomsen von Hannovers kleinstem Kino „Lodderbast“
Wäre das Leben ein Film, würde diese Geschichte so beginnen: Ein blonder Mann und eine rotblonde Frau, beide in ihren 30ern, sitzen im Schummerlicht einer Hängelampe an einem Küchentisch. Im Hintergrund stehen bereits einige geleerte Gläser. Die Kamera zoomt auf ihre Gesichter, die Augen des Mannes glänzen, die Wangen der Frau sind gerötet. „Auf so etwas hat Hannover nur gewartet!“, ruft der Mann, „Genau“, bekräftigt die Frau und hebt ihr Glas, „auf das Lodderbast!“
Von der Idee zum eigenen Kino
„Lodderbast“ ist der plattdeutsche Ausdruck für eine unordentliche, unangepasste Person – und der Name des kleinen Programmkinos, das die beiden Filmliebhaber Johannes und Wiebke Thomsen Anfang des Jahres 2018 eröffnet haben.
© Lodderbast
Ein erfüllter Traum für beide: „Wir hatten keine Lust mehr, ausschließlich als Angestellte zu arbeiten“, erzählt Johannes Thomsen, zuvor Kulturjournalist und Werbetexter. Selbstständigkeit statt ordentlichem Angestelltendasein, ein eigener kleiner Kulturbetrieb statt einer anonymen „Filmabspielbude“, wie Thomsen es ausdrückt. Insofern könnte die liebevoll-ironische Bezeichnung „Lodderbast“ kaum treffender sein. Und tatsächlich begeisterte das Lodderbast bereits von der ersten Vorstellung an mit seiner ganz eigenen Persönlichkeit auf. Die Gäste begrüßte das Ehepaar Thomsen mit Handschlag, ehe diese auf einem der 24 Retro-Sesseln Platz nahmen. In der Luft lag der Duft von hausgemachtem Popcorn, dazu gab es eigens gebraute Limonade. Nach dem Film blieben diejenigen da, die dableiben wollten, um über das Gesehene zu schnacken, wie es auf norddeutsch so schön heißt, um noch ein letztes Bierchen zu trinken und die fast schon familiäre Atmosphäre zu genießen. Kino, so wie es früher war. Kino, wie es sein sollte, finden Wiebke und Johannes Thomsen. Schon damals waren er und seine Frau fest entschlossen, den Menschen wieder dieses Gefühl von „Das muss ich unbedingt im Kino sehen!“ zu geben.
Ob auch andere Menschen ihre Begeisterung für Filme abseits des Mainstreams teilen würden, wussten die beiden vorab natürlich nicht. „Wir haben einkalkuliert, dass der Schuss nach hinten losgeht“, erzählen die beiden. „Damit haben wir sogar gerechnet. Wir dachten, das wird wahrscheinlich so eine Nummer, dass wir hier sitzen und warten und dann kommt mal einer und sagt ‘Oh was macht ihr denn hier?‘.“
Aber so war es nicht. Stattdessen klingelte vor der ersten Vorführung, „Birdman“ von Alejandro González Iñárritu, das Telefon, ein Gast reservierte eine Karte. Bei dieser einen Karte blieb es nicht – ein echter Glücksmoment für die beiden Betreiber: „Wir waren überrascht, überrumpelt und haben uns riesig gefreut“, erzählt Johannes Thomsen. „Wie toll ist es, dass tatsächlich jemand bei uns anruft und eine Karte für eine Filmvorführung bei uns reserviert und das aber nicht nur einmal, sondern dreißigmal am Tag passiert, dass die Leute mit der ersten Vorstellung Gutscheine kaufen wollten und Abos.“
Ideen, die Mut machen
Aber weil das Leben eben doch nicht wie im Film verläuft, war dieses Happy End nicht das Ende der Geschichte. Stattdessen mussten während des Lockdowns alle Kulturbetriebe ihre Türen schließen. Und da das Lodderbast auf seinen 39 Quadratmetern die erforderlichen Hygienemaßnahmen nicht hätte umsetzen können, blieb es auch nach dem 11. März 2020 geschlossen. Bald war den beiden Kinobesitzern klar, dass sie finanziell nicht mehr lange durchhalten würden. Wie also das Lodderbast retten, diesen wahrgewordenen Traum?
Die beiden beschlossen, das Ganze realistisch zu sehen: „Wir sind ein Unternehmen“, sagt Johannes Thomsen. „Unternehmergeist bedeutet auch, ich kann mich nicht hinsetzen, die Hand aufmachen und sagen, der Staat muss mich retten. Ich muss überlegen: Was kann ich alles tun?“ Die erste Idee war eine 100-tägige Online-Kinoreihe, in der sie jeden Tag einen Film zeigten und anschließend Regisseure, Schauspieler und andere Kulturschaffende in den Livestream zuschalteten. Die Zuschauer konnten sich währenddessen per Livechat einbringen. Insgesamt schalteten sich 60.000 Menschen ein. Anschließend beschlossen die Thomsens, einen Take-away-Imbiss zu eröffnen, weil das das Einzige war, was auch während der Lockdown-Phasen Bestand hätte. „Und es musste etwas sein, das im gleichen Geist stattfindet wie unser Kino, mit der gleichen Leidenschaft, der gleichen Persönlichkeit dahinter“, sagt Johannes Thomsen. Für ihn als echten Hannoveraner und seine in Oldenburg aufgewachsene Frau Wiebke kam nur ein Gericht infrage: Grünkohl mit Bregenwurst, typisch niedersächsisch und zubereitet nach dem Rezept von Johannes Thomsens Ururgroßvater. So wurde das Lodderbast zur Calenberger Palme, wegen der Nähe zur Calenberger Region und weil Grünkohlblätter entfernt an Palmwedel erinnern. Schon am Startwochenende gingen in nur vier Stunden 200 Portionen Grünkohl über die Theke – eine unglaubliche Resonanz.
Kraft durch Kreativität
Es sind Momente wie diese, die das Ehepaar Thomsen dankbar machen und zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen.
© Lodderbast
Auch der bereits zurückgelegte Weg mit dem Lodderbast gibt beiden Hoffnung: „Zum Beispiel haben wir am Anfang immer rumtelefoniert und gefragt: Hallo wir sind ein kleines Kino, habt ihr nicht Lust was zusammen mit uns zu machen?“, erzählt Johannes Thomsen. „Mittlerweile ist es so, dass auch andere uns anrufen und uns fragen, ob wir nicht Lust auf eine Kooperation haben.“ Oder eigens ausgedachte Kinoformate: „Wir wollten immer Stummfilme mit Livemusik – das Problem ist, dass es meist ein Schweinegeld kostet, Stummfilme zu leihen, weil sie zunächst aufwendig restauriert und archiviert werden. Da haben wir uns gedacht, wir nehmen einfach einen Tonfilm, machen den Ton aus und Untertitel an.“ Dazu organisierten sie einen Musiker, der einen selbstkomponierten elektronischen Soundtrack dazu entwarf. „So etwas gibt uns richtig Zuversicht, dass es immer weitergeht.“
Das große Ganze im Blick
Ihr großes Ziel haben die Thomsens trotz allem nicht aus den Augen verloren. „Unser größter Wunsch ist es, dass es uns auf lange Sicht gelingt, zusammen mit anderen engagierten Kinobetreiber:innen das Kino als Einrichtung wieder attraktiver zu machen“, erzählen die beiden.
© Lodderbast
„Filme werden immer mehr zur Unterhaltung und sind nicht mehr Teil des kulturellen Kanons. Dabei sollten sie wieder ein Teil des Bildungssystems sein und zum Beispiel im Kunstunterricht berücksichtigt werden. Und wir wollen einen Weg finden, Filme für Jugendliche und Kinder wieder so interessant zu machen, dass sie auch unabhängig vom Unterhaltungswert zur Rezeption bereit sind.“Auch deshalb widmen sie sich ab Anfang März wieder voll dem Filmischen. „Es ist wichtig zu zeigen: Da kommt noch was aus der Kino-Ecke!“, sagt Johannes Thomsen. „Wir haben uns nicht aufgegeben und basteln keine Spruchbänder mit der Aufschrift ‚Wir kommen wieder.‘“ Den zwischenzeitlichen „Ausflug“ in die Gastronomie haben die Thomsens nicht bereut, sagen aber: „Wenn du für eine Sache richtig brennst und du kannst sie ein Jahr lang nicht machen, und du baust dir immer irgendwelche Krücken, um etwas davon zu behalten, dann gibst du es irgendwann auf und sagst dir, das bringt jetzt nichts, wir müssen etwas ganz Anderes machen. Und dann stehst du da und kochst irrsinnig viel Essen – das war supercool und hat total viel Spaß gemacht“, sagt Thomsen, „aber am Ende sind wir doch Kinoleute“.